Dienstag, 7. April 2015

Rezension Saga, Sagacity (earMUSIC Juli 2014)

Nur 2 Jahre nach dem erfolgreichen Album "20/20", mit dem Michael Sadler als Sänger zurückgekehrt war, liefern Saga frischen Nachschub. Im Unterschied zum Vorgänger ist diesmal Neuzugang Mike Thorne am Schlagzeug zu hören, der vor zwei Jahren für Brian Doerner übernommen hatte und sich mittlerweile bestens in die band eingefunden hat. Hoffentlich bleibt er der Band noch lange erhalten. Neu ist auch, dass Michael Sadler diesmal von Anfang an wieder voll in das Songwriting integriert ist. Bei "20/20" konnte er ja nur noch Gesangsspuren für so gut wie fertige Songs einsingen.

1) Let It Slide: mysteriöse und verträumte Keyboard- und Gitarrenklänge leiten ein rythmisches Stück mit vetracktem Refrain und pulsierender Bassline ein. So funky waren Saga schon lange nicht mehr. Erinnert an "Steamroller" und könnte glatt ein Outtake des "Steel Umbrellas"-Album sein.

2) Vital Signs: beginnt ruhig, bleibt im Midtempo und ist mit einem sehr eingängigen Refrain ausgestattet. Die Gitarre rifft schwer, die Keys und Sadlers Gesang zaubern eine für die späten Achtziger "verregnete" Atmosphäre wie in etwa auf dem "Beginner's Guide"-Album.

3) It Doesn't Matter (Who You Are): geht ähnlich verträumt und eingängig im Midtempo-Bereich weiter. Diesmal Jim Gilmour am Gesang und ein langsames, aber verrücktes Gitarrensolo von Ian.

4) Go With The Flow: eine entspannte Akustikgitarre leitet den vielleicht sommerlichsten Saga-Song überhaupt ein. Das Tempo steigert sich langsam, es kommt die typische E-Gitarre hinzu, der Refrain ist hymnisch und eingängig. Im Mittelteil finden sich die beliebten Gitarren- und Keyboardspielereien. Die sommerliche Atmosphäre wird kombiniert mit Arena-Rock, wie er für das "Security of Illusion"-Album typisch war.

5) Press 9: sehr experimentelle Ballade. Klingt nach Musical oder nostalgischem Radiojingle. Wird mit humorvollem Text von Jim Gilmour vorgetragen. Der an das Generation 13"-Album von 1995 erinnernde Song funktioniert vielleicht weniger als eigenständiger Track denn vielmehr als Überleitung zum folgenden Titel:

6) Wake Up: einer der kürzesten Saga-Songs überhaupt. rythmisch und pulsierend mit sägender E-Gitarre, eine Mischung aus Alternative Rock und Electro ohne echten Refrain - bis auf das geshoutete "Wake up!". Klingt wie ein verschollener Song des von Fans geschmähten "Pleasure and the Pain"-Albums von 1997. Zusammen mit "Press 9" wird hier der für die Band sicherlich experimentellsten Phase in den 1990er Jahren gehuldigt.

7) Don't Forget To Breath: ein markantes Riff von der E-Gitarre eröffnet einen Midtempo-Stampfer, der noch am ehesten die musikalische Linie des Vorgängers "20/20" einschlägt.

8) The Further You Go: Die Ballade des Albums. An sich ganz klassisch Saga wie etwa auf der "Security of Illusion" oder "Wildest Dreams", mit Leadgesang von Michael Sadler in den Strophen, getragenen Keyboardteppichen und einer rythmischen Synthiespielerei im Hintergrund, aber diesmal mit einem experimentellen von Jim Gilmour gesungenen Refrain versehen.

9) On My Way: Ähnlich getragene Synthieflächen leiten einen nachdenklichen und eingängigen Song im Midtempo ein, bei dem Sadler wieder die Strophen singt, Gilmour den Refrain. Im Mittelteil wieder klassische und hymnische Gitarren-Keys-Duelle, die der nachdenklichen Stimmung eine versöhnliche und tröstende Auflösung verleihen. Erinnert an die Songs des "Gilmour-Negus-Project" von 1989

10) No Two Sides: ein von Michael Sadler gesungener Midtemposong mit sägenden Gitarren und einfachem aber genialem Keyboardpattern im Hintergrund, der stimmungstechnisch irgendwo zwischen "Heads or Tales" und "Beginner's Guide" anzusiedeln ist.

11) Luck: Beginnt rythmisch mit E-drums, Synthiefanfaren und sägender E-Gitarre wie zu seligen "Wildest Dreams"-Zeiten (1987. Michael sadler croont sich durch die ruhigen Strophen, Gilmour kommt in der Bridge dazu, der Refrain ist dann richtig knackig. Mehr 80er geht nicht. Hätte auch als Soundtrack für eine spätere Folge Miami Vice laufen können.

12) I'll be: Akustikgitarren leiten den letzten Song des Albums ein, der als Halbballade daherkommt. Geheimnisvolle Keys in den Strophen, leidenschaftlicher Gesang von Sadler, ein kraftvoller von E-Gitarre unterlegter Refrain. Schön: ein Glockenspiel als Outro schafft dann trotz des Flairs von "Wildest Dreams" wieder geistige Verwandtschaft zum "Security of Illusion-Album".

Fazit: Dank Sadlers Beteiligung geht es einerseits wieder mit viel Pop zur Sache, andererseits kommt der futuristische Progfaktor auch nicht zu kurz. Das Album ist dabei eine Huldigung an die Phase Mitte der 80er bis Mitte der 90er Jahre, als Saga für kraftvollen Arena-Rock mit der gewissen Note stand.

Montag, 6. April 2015

Rezension zu Brian Wilson, „No Pier Pressure“ (Capitol Records, 2015)

Im April 2015 hat der kalifornische Musiker Brian Wilson (72) mit „No Pier Pressure“ sein neustes Soloalbum veröffentlicht, das laut Aussage des Künstlers eigentlich als neues  Album mit den Beach Boys gedacht war. Durch neu ausgebrochene Streitigkeiten im Verlauf der Welttour zum 50-jährigen Jubiläum, die eine Zusammenarbeit scheinbar unmöglich gemacht haben, hat Brian nun den legitimen Nachfolger zu „That´s Why God Made The Radio“ (2012) allein veröffentlicht. Dem Album, für dessen Texte und Co-Produktion Brians langjähriger musikalischer Partner Joe Thomas verantwortlich zeichnet, hört man es bis auf wenige Ausnahmen an, dass es ursprünglich als Bandalbum unter Beteiligung von auch Mike Love und Bruce Johnston gedacht war. Immerhin singen und musizieren darauf bis auf die beiden letztgenannten und Drummer Ricky Fataar sämtliche noch lebende Beach Boys wie Al Jardine, Blondie Chaplin und David Marks sowie die heimlichen Beach Boys Jeffrey Foskett, der schon lange Zeit in der Touring-Band für den Falsettgesang und die Gitarre zuständig ist, sowie Matt Jardine, Al Jardines Sohn, der auch seit über 20 Jahren als musikalischer Gast der Beach Boys zu hören ist.
Unterstützt werden die genannten Beach Boys von einigen angesagten Gastsängern, die alle bereits einen Namen in der zeitgenössischen Popmusik haben: Sebu Simonian von Capital Cities (auch an den Keyboards), Zooey Deschanel von She & Him, Kacey Musgraves, Peter Hollens und Nate Rues von Fun. Die Gesangsbeiträge der Gäste klingen dabei gerne auch mal so, als ob sie die fehlenden Stimmen von Mike Love und Bruce Johnston ersetzten sollten. Instrumentale Beiträge gibt es von Startrompeter Mark Isham, Gitarrist M. Ward (ebenfalls von She & Him), gefragten Sessionschlagzeugern wie Jim Keltner, Vinnie Colaiuta oder Kenny Aronoff, dem Bassisten und Produzenten Don Was sowie vielen weiteren Musikern aus Brians angestammter Begleitband. Die Instrumentierung und Produktion ist wie nicht anders zu erwarten von höchster Professionalität; ein Grammy-Preisträger, der in seiner bereits 54-jährigen Karriere millionenfache Albumverkäufe erreicht hat, wird bei seiner Musik eben niemals kleckern, sondern klotzen wie kein anderer.
Das Cover des Albums ziert diesmal keine an die 70er Jahre angelehnte Grafik, sondern eine etwas düster gehaltene Fotographie von der Unterseite eines Piers, dessen von Muscheln bedeckte Pfosten von der Meeresbrandung umspült werden und die im Hintergrund Tageslicht durchscheinen lassen wie einen Schimmer Hoffnung. Der Titel „No Pier Pressure“ kann sicherlich als intelligentes Wortspiel mit „No Peer Pressure“, also zu deutsch, „kein Gruppenzwang“, verstanden werden. Brian Wilson spielt damit vermutlich zum einen an die vielen Gastsänger an, zum anderen thematisiert er damit wohl auch ein Problem, dass jeder ältere Musiker kennt: beuge ich mich dem modernen Zeitgeist, um erfolgreich zu sein oder bewahre ich ganz meine Identität und gehe dabei vielleicht genauso hilflos unter.
Im Folgenden versuche ich, jeden einzelnen Titel des Albums kurz zu analysieren und zwar nach folgenden Gesichtspunkten: Instrumentierung, Gesang, Text und Einordnung ins Gesamtwerk.   

1) This Beautiful Day: ein kurzer Opener mit reduzierter Instrumentierung: Klavier, Violine und Trompete. Brian singt entspannt mit typischen Beach Boys Harmonien im Hintergrund, bevor das ganze mit einer sakral wirkenden Orgel ausklingt. Klingt wie eine Mischung aus aus „Our Prayer“ und „Meant for you“. Jedenfalls ein würdevoller Einstieg ins Album, ähnlich wie beim letzten Album der Beach Boys.

2) Runaway Dancer (feat. Sebu): ein Saxophon leitet eine von zeitgenössischen Beats dominierte Tanznummer ein, für die Gast Sebu Simonian von Capital Cities die Leadvocals liefert. Natürlich dürfen auch hier die so beliebten Harmonien nicht fehlen. Trotz vermeintlich moderner Produktion ist dies kein Stilbruch in Brians Werk, denn schon Ende der 70er jahre hat er mit den Beach Boys Disconummern wie „She´s got rhythm“ oder „Mona“ aufgenommen.

3) Whatever Happened (feat. Al Jardine and David Marks): auf der ersten Ballade des Albums über Veränderungen im Leben singt Brian Wilson die Strophen, Beach Boy Al Jardine den Refrain und Backgroundvocals, Beach Boy David Marks spielt eine entspannte Surf-Gitarre. Die dezenten Streichereinlagen lassen die Nummer wie ein Outtake vom „L.A. –Album“ der Beach Boys klingen. Späte 70er lassen grüße!

4) On The Island (feat. She & Him): mit diesem ruhigen Bossa Nova huldigt Brian den späten 60ern. Zooey Deschanel von She & Him singt mit jazziger Stimme die Strophen, Brian antwortet im Chorus. M. Ward (ebenfalls von She & Him) zupft gemütlich die Gitarre. Dieses so kurze wie relaxte Stück Loungemusik könnte genauso gut vom Album „Friends“ (1968) stammen, wo es eine gelungene Ergänzung zu den gleichartigen Nummern „When a Man loves a Woman“ oder „Busy Doin´ Nothin´“ wäre.

05) Half Moon Bay: dieses Instrumental mit dezenten Gesangsharmonien greift die verträumte Urlaubsstimmung des vorhergehenden Liedes auf. Im Mittelpunkt steht die  Trompete von Mark Isham, der hier besten Smooth Jazz bietet. Geheimnisvolle aber sanfte Perkussionsinstrumente und ruhige Streicher lassen auch hier an ein Überbleibsel vom Album „Friends“ denken, wo es mit „Diamond Head“ schon ein ähnlich gelagertes Instrumental gab.

06) Our Special Love (feat. Peter Hollens): beginnt als reine Acapella-Nummer mit engelsgleichen Harmonien, bevor Gast Peter Hollens  mit viel Schmelz in der Stimme sich den Leadgesang mit Brian teilt. Im Kontrast dazu stehen die treibenden Drums.

07) The Right Time (feat. Al Jardine and David Marks): nach einem Orgel-Intro setzt der Leadgesang von Al Jardine ein, der in diesem beschwingten Stück im Refrain von Brian unterstützt wird, während David Marks wieder die elektrische Gitarre bedient. Die als Vorabsingle bekannte Nummer könnte auch wieder aus den 70ern stammen.

08) Guess You Had To Be There (feat. Kacey Musgraves): dieses fröhliche Mitsinglied verwöhnt uns mit toll produzierten, kristallklaren Vocals von Country-Sternchen Kacey Musgraves. Brian singt dazu unterstützt vom üblichen Harmoniegesang den Refrain. Durch Banjo und ein wenig Slidegitarre gemahnt das an die Beach Boys 1969 bis 1976, wie etwa in „Cottonfields“, „Susie Cincinatti“ oder „Back Home“, auch wenn im Schlussteil noch eine verzerrte E-Gitarre für den weiteren Pepp sorgt. 

---- die folgenden drei Titel sind nur auf der Deluxe Edition des Albums enthalten---

09) Don´t Worry: discomäßige Streicher leiten den nächsten Song zum Abtanzen ein. Hier gibt es nur Gesang von Brian pur, mit Harmoniebegleitung und einem funky Bläsersatz. Hätte eine gute Ergänzung zur Discoversion von „Here Comes The Night“ auf dem Album „L.A.“ abgegeben.

10) Somewhere Quiet: ist eine ruhige Ballade, in der wieder nur Brians Gesang im Vordergrund steht, allerdings diesmal mit Al Jardine oder Matt Jardine deutlich im Hintergrund. Wie ein anderer Rezensent bereits angemerkt hat, scheint es sich hier um eine Überarbeitung des Beach-Boys-Instrumentals „Summer Means New Love“ vom Album „Summer Days (And Summer Nights!!) (1965) zu handeln. Von der ganzen Instrumentierung her passt es auch gut in diese Zeit. Offiziell bestätigt ist das nicht, aber die Ähnlichkeit ist schon frappierend und Brian ist ja dafür bekannt, Lieder immer wieder zu überarbeiten.  

11) I´m Feeling Sad: könnte auch wieder aus Mitte der 60er Jahre stammen. Brian singt begleitet von Akustikgitarre, Akkordeon und Harmoniegesang über einen traurigen Samstag in der Stadt. Keine Ballade, aber entspanntes Midtempo.

---

12) Tell Me Why (feat. Al Jardine): beginnt mit Brians Leadgesang wie ein trauriger Song von der legendären „Pet Sounds“ (1966) mit kammerartigen Streichern, Orgel, Trompete (lasse mich da gerne korrigieren) und dezenter Perkussion. Wenn aber Al Jardine den kraftvollen Refrain unterstützt von Harmoniegesang und schlagerartigen Bläsern übernimmt, haben wir wieder eine tolle Powerballade ganz im Stil der 70er Jahre. Definitiv ein Highlight des Albums!

13) Sail Away (feat. Blondie Chaplin and Al Jardine): ein Blasinstrument brummt wie ein Schiffshorn, dann eine die bei Sonnenlicht funkelnde Meeresoberfläche imitierende Instrumentierung wie bei „Sloop John B.“, bevor Stargast und Beach Boy Blondie Chaplin die erste Strophe singt. Dann singt Al Jardine den eingängigen Refrain, bevor Brian die zweite Strophe übernimmt. Klingt wie eine Kreuzung aus dem schon erwähnten „Sloop John B.“ und „Sail On, Sailor“ von 1973 mit einem sehnsuchtsvollen Text voller Seefahrerromantik, der auch auf einem Album wie „Still Cruisin´“ (1989) oder „Summer In Paradise“ nicht verkehrt geklungen hätte.

14) One Kind Of Love: ein Flügelhorn leitet nicht „God Only Knows“ ein, aber eine Ballade wie von „Pet Sounds“ ein, die Brian wieder ganz in den Mittelpunkt stellt. Im Refrain klingt auch dieses Stück dann wieder etwas mehr nach den 70ern.

15) Saturday Night (feat. Nate Ruess): ist die zweite Folkrock-Nummer des Albums. Stargast Nate Ruess von Fun singt hier durchgängig die Leadstimme, während Brian nur in der Bridge und im Hintergrund zu hören ist. Die lässigen Harmonien, die zusammen mit den dezenten Keyboards wie eine kühle Brise daherkommen, lassen den unbekümmerten Song wie besten Westcoast-Sound aus den frühen 70ern klingen. Im Übrigen hat Nate Ruess eine poppige Stimme wie einst bei den Hollies.

16) The Last Song: beschließt als letzter Song die Standard Edition des Albums, aber hoffentlich nicht Brians Karriere oder die der Beach Boys. Ein verträumtes Piano, melancholische Streicher und ein lamentierender Brian, der sich Gedanken über das Ende seiner Karriere, das Ende der Zusammenarbeit mit den Beach Boys und das nahende Ende seines Lebens macht. Im Refrain singt der Chor ein „La La La“ wie bei „San Miguel“ (1969) und der Song steigert sich zum Ende hin in seiner Intensität. Der Text macht nachdenklich, immerhin muss man nun rein aus Alters- und Gesundheitsgründen ständig mit dem Ende der Beach Boys  rechnen, da ja bis auf David Marks, Blondie Chaplin und Ricky Fataar alle die 70 längs hinter sich gelassen haben. Andererseits hat Brian Wilson zwar in Interviews zwar schon vom möglichen Ende seiner Karriere gesprochen, andererseits hat er  auch durchblicken lassen, dass er beispielsweise gerne noch ein Rock´n´Roll Album aufnehmen würde als Tribute an Chuck Berry, Little Richard und co. Außerdem gehen Gerüchte um, dass Mike Love und Bruce Johnston alleine ein Beach Boys Album auf die Beine stellen wollen. Zu guter Letzt wissen die Fans ja, dass in den Archiven immer noch einige Perlen darauf warten, offiziell veröffentlicht zu werden.

--- die folgenden zwei Stücke sind als vom Hauptalbum abgesonderte Bonus Tracks gekennzeichnet und nur auf der Deluxe Edition zu finden ---

15) In The Back Of My Mind: ist, wenn man dem Artikel in der englischsprachigen Wikipedia glauben darf, eine 1975 entstandene Demofassung des bereits 1965 auf „Today“ veröffentlichen Songs. Hier hören wir nur Brian am Piano.

16) Love And Mercy: ist eine neue Version des Songs, der schon 1988 auf Brians erstem Soloalbum veröffentlicht wurde. Hier hören wir auch hauptsächlich Brian am Piano mit Hintergrundgesang durch einen kleinen Chor. Über das Aufnahmedatum scheint nichts bekannt zu sein, vielleicht ist es ja ein Outtake von „No Pier Pressure“.

Fazit: „No Pier Pressure“ klingt wahrlich wie ein neues Album der Beach Boys im Jahre 2015 klingen würde. Als Referenz dazu mag man sich ja nur einmal das oben erwähnte „That´s Why God Made The Radio“ von 2012 anhören. Auch wenn Brian durch seine noch jungen Kinder dazu inspiriert wurde, mal etwas Zeitgemäßes, sozusagen „trendiges“ aufzunehmen, fügt sich die Musik nahtlos in sein Gesamtwerk ein. Man hört hier kaum einen Sound, den es nicht schon einmal auf einem früheren Album der Beach Boys oder einem Soloalbum von Brian gegeben hätte. Andererseits bieten die jungen Gastsänger ausreichendes Identifikationspotenzial, um auch bei einem jüngeren Publikum (sagen wir die Generation U-40) Gehör zu finden. Brian Wilson dürfte da sicher auch davon profitieren, dass momentan alle möglichen Retrosounds in der Musikszene angesagt sind, egal ob das nun Folk, Soul oder Pop der 80er Jahre sind. Der kreative Kopf der Beach Boys scheint auf seinem neuesten Streich gar selber eine Werkschau über die Zeit Mitte der 1960er Jahre bis in die frühen Achtzigerjahre gemacht zu haben. Im Gegensatz zu seinem letzten „echten“ Soloalbum „That Lucky Old Sun“ von 2008, das versucht hat, die 60er Jahre wiederauferstehen zu lassen, lässt er sich auf „No Pier Pressure“ munter durch den Strom der Zeit treiben und vermischt in den neuen Liedern oft unterschiedliche Einflüsse. Das klingt dann runder und weniger gekünstelt, als in einer bestimmten Epoche verhaftet zu bleiben.
Durch die Mitwirkung von Al Jardine, der erfreulicherweise stimmlich nicht nur auf den Liedern auftaucht, die ihn ausdrücklich als Gastsänger nennen, fällt es wirklich schwer, dieses Album als ein Soloalbum zu betrachten; Jardine sorgt dann auch für die gewissen Gänsehautmomente bei den Fans. Im Übrigen sind auch alle älteren Sänger (vermutlich auch mithilfe von Autotune und ähnlichen Studiotricksereien) gut bei Stimme und die jungen Gastsänger fügen sich nahtlos in den Reigen ein. Der mehrstimmige begleitende Harmoniegesang ist ganz im Stil der Beach Boys gehalten.  
Es fällt schwer, etwas auf diesem Album zu kritisieren. Vielleicht mag das nicht ganz so starke „One Kind Of Love“ zwischen dem vorhergehenden und dem nachfolgenden Song etwas untergehen, vielleicht sind die Texte manchmal etwas zu melancholisch und vielleicht ist „Runaway Dancer“ etwas zu modern produziert. Aber genau das macht die Musik der Beach Boys doch schon seit jeher aus, dass Genie und Wahnsinn, Kunst und Kommerz, künstlerische Klasse und Trivialität, Tiefgang und Beliebigkeit Hand in Hand gehen.
Jedenfalls sind die Songs durchgängig "catchy" und von Wiedererkennungswert. Auch ist es wie bei jedem Album aus dem Umfeld der Beach Boys eine Freude, die vielen verschiedenen Stimmen im Hintergrund sowie die bunte Palette an Instrumenten zu entdecken, die dank der warmen wie differenzierten Produktion besonders gut zur Geltung kommen.Eine Kaufempfehlung für alle Fans der Beach Boys oder den Liebhaber anspruchsvoller Popmusik mit hohem Nostalgiefaktor. Bleibt nur zu hoffen, dass es mit dem kalifonischen Mythos noch eine Weile weitergeht!


Christoph Alexander Schmidberger